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Verschlafen Kleinverlage die Digitalisierung?

Aktuelle Studie der HTWK Leipzig zu Perspektiven für Verlage in Zeiten des digitalen Wandels

Die Kleinverlage in Deutschland sind schon oft totgesagt worden, und in der Tat sinkt ihre Zahl von Jahr zu Jahr: Allein von 2.019 kleinen Verlagen im Jahr 2013 sank ihre Anzahl auf 1.850 im Jahr 2017. Das entspricht einem Rückgang um rund acht Prozent. Dennoch scheint sich diese Gruppe innerhalb der Verlagsbranche immer noch recht sicher zu sein, auch in Zukunft ein relevanter Teil der deutschen Kulturlandschaft zu sein.

Laut einer Studie der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) könnte dies für viele Verlage jedoch ein folgenschwerer Irrtum sein: Die Mehrheit der deutschen Kleinverlage – in der Studie erstmals aufgeteilt in verschiedene Strategiecluster – ist nach den Erkenntnissen der Studie langfristig nicht wettbewerbsfähig.

Haben deutsche Kleinverlage noch eine Zukunft?

„Unsere Untersuchung des Buchmarktes zeigt, welche Chancen und Risiken für die einzelnen Verlagscluster bestehen. Dabei sieht es für einen Großteil der Verlage nicht rosig aus, wenn sie nicht ihre Zukunftsstrategien anpassen“, sagt Prof. Friedrich Figge, der die Studie geleitet hat. Als bedenklich bezeichnen die Autorinnen und Autoren die Tatsache, dass sich etwa drei von vier befragten Unternehmen von der Digitalisierung nicht bedroht fühlen und den Markt nur unsystematisch beobachten. Für sie sind das gedruckte Buch und der stationäre Handel weiterhin Kern ihrer Arbeit, obwohl die Marktanteile sinken, wie Figge die Problematik beschreibt: „Sollten diese Verlage weiterhin den digitalen Wandel ignorieren, werden sie der Änderung der Medienlandschaft auf Dauer nicht gewachsen sein.“ Laut Figge ist der Grund für die düsteren Aussichten vor allem die mangelnde Vorbereitung der Verlage auf die Veränderungen durch die Digitalisierung, sei es der Einfluss auf das Leseverhalten, den Wettbewerb durch neue Unterhaltungsmedien wie Streamingdienste oder die Auswirkungen auf Produktion und Vertrieb von Verlagsprodukten.
Allerdings konnten im Gegensatz dazu kleinere Verlags-Gruppen identifiziert werden, denen es gelungen ist, im digitalisierten Marktumfeld erfolgversprechende Nischen zu besetzen. In der Studie werden sie „Digitale“, „Dienstleister“ und „Avantgarde“ genannt. Entsprechend konnte einem Viertel der Befragten bescheinigt werden, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie könnten daher, so die Studie, als Vorbilder für die beiden noch nicht zukunftsfähigen Gruppen „Traditionalisten“ und „Einsteiger“ dienen.

Die Digitalisierung anerkennen und nutzen

„Eine Änderung in der Strategie der Kleinverlage wird nur eintreten, wenn sie das Ausmaß der digitalen Revolution erkennen und darauf reagieren wollen – und können. Dabei könnten die Strategien der drei kleineren genannten Gruppen als Vorbild dienen. Als erster Schritt zur Rettung betroffener Verlage muss daher eine dauerhafte und realistische Vermittlung der Marktsituation in Zeiten der Digitalisierung auf eine Weise sein, die für Kleinverlage glaubwürdig und überzeugend ist“, resümiert Figge. Um innovative Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln und um Produktion und Vertrieb digital zu gestalten, bedürfe es einer Zusammenarbeit der Verlage bei Standards sowie kooperativer Entwicklungen. Eine deutlichere Ausrichtung des Börsenvereins – eines eingetragenen Verein mit Sitz in Frankfurt/Main, der die Interessen aller Handelsstufen im Buchhandel vertritt – auf solche Kooperationen, zum Beispiel durch Verstärkung der jeweiligen Interessengemeinschaften, und eine gezielte Wissensvermittlung über erfolgreiche Digitalisierungs¬strategien könnte dies fördern.

Ausdrücklich verweisen die Studienautoren und -autorinnen auf bereits bestehende Initiativen zur Verlagsförderung, unter anderem den neuen „Deutschen Verlagspreis“ (2019 erstmals verliehen), darüber hinaus auf Förderprogramme, die unter dem Titel „Neustart Kultur“ von der Bundesregierung geschaffenen worden sind. Außerdem wird auf das Programm „Digital Jetzt“ des Bundeswirtschaftsministeriums verwiesen, mit dem beispielsweise Investitionen in Technologien und Qualifizierung bezuschusst werden. „Optimal wäre, wenn die Bundesregierung künftig bei Förderprogrammen einen Weg finden könnte, den Eigenanteil dieser Investitionen der Kleinverlage teilweise zu übernehmen“, regt Figge an. Die HTWK-Studie gibt Verlagsclustern und Marktakteuren darüber hinaus weitere Empfehlungen.

Drei Verlagsgrößen für Marktforschung

Die Marktforschung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels splittet bei Erhebungen die Verlage in drei Größenklassen auf: Kleinverlage bis zu einem Jahresumsatz von 1 Mio. Euro, mittlere Verlage bis zu einem Umsatz von 10 Mio. Euro und große Verlage mit einem Umsatz von mehr als 10 Mio. Euro. (Lippmann, 2020).

Die Studie wurde kurz vor Beginn der COVID-19-Pandemie, im Frühjahr 2020, durchgeführt. Rund 1.700 Kleinverlage wurden angeschrieben, 89 haben geantwortet. Davon waren 61 auswertbar, und 36 konnten zur Clusteranalyse herangezogen werden.

Prof. Friedrich Figge lehrt seit 2004 Electronic Publishing und Multimedia an der HTWK Leipzig. Zuvor war er Verlagsleiter im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP; nach Stationen als Leiter Neue Medien, Online-Manager, Projektleiter für Geschäftsfeldentwicklung und Business Analyst u. a. bei Bertelsmann und Reed Elsevier). Er hat Wirtschaftswissenschaften und Kunstgeschichte in Berlin, München und Madrid studiert.

Angaben zur Studie

Figge, Friedrich, et. al. Zukunftskompetenzen von kleinen und mittelgroßen Verlagen (KMV) im digitalen Wandel. München: AVM, 2020. ISBN: 978-3-95477-119-6; ca. 75 Seiten (erscheint voraussichtlich vor der Frankfurter Buchmesse; 14.-18.10. 2020)
Rezensionsexemplare über laura_sophie.tischer@stud.htwk-leipzig.de

Auf der future!publish 2021, dem Kongress für die Buchbranche (Berlin, 14.01-15.01.2021), werden Friedrich Figge und sein Team die Ergebnisse der Studie präsentieren, Lösungswege werden diskutiert und Fragen der Verlage beantwortet.

Weiterführender Link: futurepublish.berlin


Quelle: Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig

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