Morgenstund'

Zum EuGH-Urteil zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung

„Systematische Erfassung von Arbeitszeiten wird unzählige Arbeitnehmer und Arbeitgeber ins Unrecht setzen“

Bitkom-Präsident Achim Berg

„Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Arbeitgeber in der Europäischen Union die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer systematisch erfassen müssen. Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Arbeitswelt. In Deutschland existiert der klassische Acht-Stunden-Tag oft nur noch auf Papier. Viele Arbeitnehmer wollen flexibler arbeiten und fordern das aktiv ein. Nehmen wir das Beispiel eines Vaters, der nachmittags seine Kinder aus der Kita abholt, um am späten Abend noch einmal E-Mails zu beantworten und am nächsten Morgen wieder pünktlich im Büro zu sein: Wer so arbeitet, entspricht vielleicht einem modernen Familienmodell, aber verstößt gegen das Arbeitszeitgesetz, wonach zwischen zwei Arbeitstagen eine Ruhezeit von elf Stunden liegen muss. Die systematische Erfassung von Arbeitszeiten wird unzählige Arbeitnehmer und Arbeitgeber ins Unrecht setzen. Das EuGH-Urteil macht deutlich, dass unser Arbeitsrecht zwingend modernisiert und in das digitale Zeitalter überführt werden muss. Die tägliche sollte auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt und die elfstündige Mindestruhezeit überprüft werden.“

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Arbeitgeber die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch erfassen müssen. Das verursacht nicht nur einen kaum absehbaren bürokratischen Mehraufwand, sondern stellt gegenseitige Vertrauensbeweise auf den Prüfstand.

Flexible Arbeitszeiten wünschen sich viele Arbeitnehmer.

Die Europäische Arbeitszeitrichtlinie und die nationalen Arbeitszeitgesetze sollen Beschäftigte vor potenziellen gesundheitlichen Risiken zu schützen, die sich aus einer zeitlichen Beanspruchung ergeben könnten. Das deutsche Arbeitszeitgesetz umfasst dabei nicht nur die wöchentliche Höchstarbeitszeiten und die Ruhezeit, sondern auch eine tägliche Höchstarbeitszeit. Deutsche Arbeitgeber sind bisher dazu verpflichtet, Arbeitszeit aufzuzeichnen, vorausgesetzt, sie geht über die tägliche Acht-Stunden-Höchstgrenze hinaus. 

Dadurch lassen sich nicht nur Überstunden nachverfolgen: Indirekt wird so auch die maximale tatsächliche Arbeitszeit dokumentiert. Sie bewegt sich damit entweder unter acht Stunden – dann liegt keine Dokumentation vor – oder sie liegt bei acht Stunden, zuzüglich der dokumentierten Stunden. Juristen müssen klären, ob dieser Passus im deutschen Arbeitszeitgesetz von dem EuGH-Urteil betroffen sein könnte. 

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Es würde eine Aufzeichnungspflicht für alle Beschäftigten in Deutschland in Kraft treten, die bürokratischen Mehraufwand verursacht, ohne einen Beitrag zum Arbeitsschutz zu leisten . Foto: Ralph Schipke

“Würde letztendlich tatsächlich eine Aufzeichnungspflicht für alle Beschäftigten in Deutschland in Kraft treten, würde dies bürokratischen Mehraufwand verursachen, ohne einen Beitrag zum Arbeitsschutz zu leisten”, sagt IW-Arbeitsexperte Oliver Stettes. So macht es aus Arbeits- und Gesundheitsschutzsicht beispielsweise keinen Sinn, die Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten mit vier Stunden täglich zu erfassen. Hinzu kommt: Seit Jahren setzen immer mehr Unternehmen auf Vertrauensarbeitszeit. “Dieser gegenseitige Vertrauensbeweis wäre nicht mehr möglich, wenn aus dem Urteil eine Erfassungspflicht resultieren würde”, sagt Oliver Stettes Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft.. 

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Noch mehr zum Thema:

“Es wird höchstwahrscheinlich jede Art der Erfassung erlaubt sein – vom Handzettel bis zur App. Hauptsache, sie ist nachvollziehbar. Das ist eine Chance für Startups, gute IT-Lösungen für die Erfassung auf den Markt zu bringen.”

Bei www.gruenderszene.de

Quelle: Bitkom | IW-Nachricht | 15.05.2019 |

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