Seit 23 Jahren untersucht der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) das weltweite Gründungsgeschehen.
Bis zu 70 Länder erheben jährlich Daten zu nationalen Gründungsaktivitäten und den jeweiligen Rahmenbedingungen, was den GEM zum weltweit größten Projekt der ländervergleichenden Gründungsforschung macht.
Der neue GEM-Länderbericht, der in Kooperation zwischen dem Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover und dem RKW Kompetenzzentrum entstanden ist, analysiert sowohl Gründungsaktivitäten und -einstellungen als auch gründungsbezogene Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich.
Die Ergebnisse des neuen Länderberichts basieren auf weltweit über 164.718 befragten Bürgerinnen und Bürgern (davon 4.110 in Deutschland) in 49 Staaten sowie 2.240 Gründungsexpertinnen und -experten (70 in Deutschland) in 51 Staaten.
Nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse für Deutschland:
- Im Jahr 2022 erreichte die Quote der Gründungsaktivitäten (TEA) in Deutschland 9,1 % und damit den höchsten Wert seit 1999, dem Startjahr der Erhebungen im Rahmen des Global Entrepreneurship Monitors (GEM).
Das umfasst sowohl Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung eine Gründung vorbereiten, als auch Personen, die sich in den letzten dreieinhalb Jahren selbständig gemacht oder ein Unternehmen gegründet haben. Gemessen wurden die Gründungsaktivitäten im Zeitraum von 2019 bis Mitte 2022, also auch die gesamte Phase der Corona-Pandemie - In den letzten vier Jahren (2019 bis 2022) liegt das durchschnittliche Niveau der Gründungsaktivitäten in Deutschland bei über 7 % und somit über dem langfristigen Mittel von etwa 5 % für den vorangegangenen Zeitraum von 1999 bis 2018. Der Anstieg der Gründungsaktivitäten wurde von einer Verschiebung zwischen den Altersgruppen begleitet. Bis 2017 waren die 35- bis 44-Jährigen die Gruppe mit der höchsten Gründungsquote. Seitdem haben sich die Gründungsaktivitäten kontinuierlich hin zu den jüngeren Bevölkerungsgruppen der 18- bis 24-Jährigen und 25- bis 34-Jährigen verlagert. Die Gründungsaktivitäten der 18- bis 24-Jährigen (15,2 %) sind im aktuellen Erhebungszeitraum fast viermal so hoch wie die der 55- bis 64-Jährigen (4,1 %).
- Knapp 27 % der Gründenden in Deutschland sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte (definiert als Personen, die seit 1950 selbst zugewandert oder deren Eltern beide zugewandert sind). Diese Gruppe weist im langjährigen Durchschnitt (2016 bis 2022) mit 6,7 % höhere Gründungsaktivitäten als einheimische Personen mit 5,9 % auf. Gründende mit Einwanderungsgeschichte kommen besonders häufig aus der Türkei, Russland und Polen. Weiterhin ist die Gruppe der migrantischen Gründenden durch ein vergleichsweise unterdurchschnittliches Einkommen gekennzeichnet.
- Seit dem Start des GEM im Jahr 1999 liegen die Gründungaktivitäten von Frauen unterhalb der von Männern. Das gilt auch für 2022: Frauen (7,1 %) gründen deutlich seltener als Männer (11,0 %). Das insgesamt höhere Niveau an Gründungsaktivitäten hat nicht zu einer Verringerung des Gendergaps geführt. Höheren Gründungsquoten von Frauen stehen überproportionale Anstiege der Gründungen durch Männer gegenüber.
60 % der TEA-Gründerinnen gründen im Nebenerwerb und nur knapp 40 % im Vollerwerb. Bei den TEA-Gründern ist dieses Verhältnis mit knapp 65 % im Vollerwerb und gut 35 % im Nebenerwerb annähernd umgekehrt. - Der Anteil technologieorientierter Gründerinnen und Gründer liegt 2022 bei 3 % und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr (4 %) leicht verringert. Immerhin 7,1 % aller Gründungspersonen gehen davon aus, dass ihr Unternehmen in naher Zukunft einen starken Zuwachs an Beschäftigten haben wird. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit sowohl bei der Technologieorientierung der Gründungen als auch bei der Wachstumserwartung auf den hinteren Rängen.
- Die Integration sozialer und ökologischer Maßnahmen ist für Gründerinnen und Gründer besonders wichtig: 61 % der Gründenden beziehen soziale Aspekte im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen mit ein. Dieser Wert ist mehr als 10 Prozentpunkte höher als bei etablierten Unternehmerinnen und Unternehmern. Ökologische Aspekte werden hingegen von über der Hälfte der Gründenden und 61,5 % der etablierten Unternehmen berücksichtigt.
Insgesamt erfährt das Thema Nachhaltigkeit bei über 45 % der Gründerinnen und Gründer eine Priorisierung gegenüber dem Profit. Bei etablierten Unternehmen ist dieser Wert etwa 8 Prozentpunkte niedriger. - Stärken und Schwächen des Gründungsstandorts Deutschland: Zu den im GEM untersuchten gründungsbezogenen Rahmenbedingungen gehören politische, ökonomische, soziale und kulturelle Kontextfaktoren, die bei einer positiven Ausprägung Unternehmensgründungen in ihrer Quantität und Qualität begünstigen können. Bei einigen wenigen Kontextfaktoren lassen sich auffällige Änderungen der Rangposition in den vergangenen Jahren feststellen. Hierzu gehört die physische Infrastruktur (Kommunikationsmöglichkeiten, Transportwege, Büro- und Produktionsräume), deren Einschätzung sich in den letzten Jahren etwas verschlechtert hat.
Zur Gruppe mit den besten Bewertungen gehören nun die Wertschätzung von Unternehmen und Konsumenten gegenüber neuen Produkten und Dienstleistungen sowie öffentliche Förderprogramme. Eine leichte Verbesserung der Platzierung über die Jahre lässt sich für den Bereich Wissens- und Technologietransfer erkennen.
Die schulische Gründungsausbildung bleibt die Rahmenbedingung mit der schlechtesten Bewertung. Der Vergleich mit 35 Ländern zeigt im Jahr 2022, dass Deutschland bei den Rahmenbedingungen nah am internationalen Durchschnittswert liegt.
Download Global Entrepreneurship Monitor 2022/2023 (inkl. vergleichende Statistiken mit anderen Ländern und ausführlicher Erläuterung der obigen Punkte).
2023-07-05