Sozialgericht Schwerin zum Gesetzlichen Unfallversicherungsschutz im Homeoffice

Der Rückweg nach dem Ende der Tätigkeit im Homeoffice steht als mitversicherter Betriebsweg unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz.

Das Sozialgericht Schwerin hat in einem aktuell veröffentlichten Urteil vom 13.12.2022 entschieden, dass der direkte Weg vom Homeoffice-Arbeitsplatz in den Wohnbereich der Wohnung unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz steht.

Im entschiedenen Fall verrichtete die Klägerin ihre Arbeit an 3 Tagen der in der Dienststelle und an den anderen 2 Tagen der Woche im Homeoffice.
Am 01.03.2022 ging die Klägerin ihrer Tätigkeit an ihrem häuslichen Arbeitsplatz im Homeoffice nach. Nach dem digitalen Ausstempeln und Herunterfahren des Rechners sammelte die Klägerin von ihrem Arbeitsplatz ihre Signaturkarte, ihr Headset, den Büroschlüssel und ihre Notizen vom Arbeitstag in einer üblicherweise hierfür von ihr verwendeten „blauen Mappe“ und verließ damit den Arbeitsbereich. Sie stürzte auf der Treppe auf dem direkten Weg vom Obergeschoss in den Wohnbereich im Untergeschoss ihrer Wohnung und zog sich hierbei eine Verletzung zu. Ab dem 04.05.2022 war die Klägerin wieder arbeitsfähig. Tätigkeitsbegleitend führte sie die physikalische Therapie weiter, die erst im November 2022 abgeschlossen werden konnte. Für den Zeitraum vom 13.04.2022 (Ende der Lohnfortzahlung) bis zur Arbeitsfähigkeit am 04.05.2022 gewährte die Beklagte (Gesetzliche Unfallversicherung) der Klägerin Verletztengeld.

Allerdings lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass während der Homeoffice-Tätigkeit nur Unfallversicherungsschutz für Tätigkeiten in sachlichem Zusammenhang mit der Tätigkeit bestehe. Im Unfallzeitpunkt sei – im Fall der Klägerin – die Tätigkeit bereits beendet gewesen und die Bürotür durchschritten. Als sie auf der Treppe stürzte, habe sich die Klägerin auf dem Weg in ihren Wohnbereich befunden. Nach dem Durchschreiten der Tür des Homeoffice-Büros sei die Homeoffice-Tätigkeit beendet gewesen, und die objektivierte Handlungstendenz für das Betreten der Treppe habe darin bestanden, eine private Verrichtung aufzunehmen.
Da sich der Unfall im unversicherten privaten Bereich ereignet habe, bestehe hierfür kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weshalb die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls gem. § 8 SGB VII und die Leistungspflicht der Beklagten nicht vorliegen würden.

Hiergegen wandte die Klägerin insbesondere ein, dass ihre Tätigkeit noch nicht beendet gewesen sei, denn sie habe im Unfallzeitpunkt die Arbeitsnotizen, das Headset, ihre digitale Dienstkarte und ihren Büroschlüssel noch in ihre unten in der Küche stehende Arbeitstasche stecken wollen, damit sie am Folgetag die Tätigkeit im Büro in der Unternehmensstätte hätte ausüben können. Ihre Tätigkeit habe erst geendet, sobald sie die für die Arbeit am nächsten Tag notwendigen Dinge in ihre Arbeitstasche gepackt habe. Sie habe deshalb im Sturzzeitpunkt keine private Handlungstendenz gehabt, es handele sich um einen Wegeunfall.

Das Sozialgericht Schwerin gab der Klägerin Recht.

Sie hat am 01.03.2022 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten, da laut § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch

  • das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit und
  • das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Ersatzbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt,

versichert sind.

Die Klägerin hat hier also einen (mit)-versicherten Betriebsweg zurückgelegt.
Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse wahrgenommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen. Wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude befinden, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar.
Ein rechtlicher Qualitätsunterschied zwischen einem vergleichbaren Weg in der Betriebsstätte und im Homeoffice in der Häuslichkeit ist nach dieser Zielbestimmung des Gesetzgebers mit der Einführung von § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII nicht mehr zu rechtfertigen.

Damit folgt die Kammer der insoweit grundlegenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) mit dem Urteil vom 08.12.2021 (B 2 U 4/21 R).

Quelle: Sozialgericht Schwerin, Urteil vom 13.12.2022, S 16 U 49/22

2023-01-23

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