LAG-Urteil: Dienstliche SMS muss nicht in der Freizeit gelesen werden

Beschäftigte müssen außerhalb der Arbeitszeiten nicht die SMS-Nachrichten ihrer Vorgesetzten lesen, so das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in einem aktuell veröffentlichten Urteil.      

Wenn nach Feierabend per SMS oder E-Mail über Dienstplanänderungen informiert wird, dürfen Arbeitgeber nicht damit rechnen, dass Arbeitnehmer die Nachricht lesen, denn die Mitarbeiter hätten in ihrer Freizeit ein Recht auf Unerreichbarkeit.

Zum entschiedenen Fall

In dem Fall vor dem LAG ging es um kurzfristige Dienstplanänderungen für einen Notfallsanitäter. Dieser war in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht zu erreichen gewesen und meldete sich jeweils zu seinen ursprünglich geplant Diensten.

Das Landesarbeitsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob der Notfallsanitäter in seiner Freizeit auf eine kurzfristige Dienstplanänderung für den Folgetag reagieren musste.

Der Arbeitgeber wertete das Verhalten seines Angestellten als unentschuldigtes Fehlen und erteilte ihm zunächst eine Ermahnung und dann eine Abmahnung, mit der Begründung, der Kläger sei verpflichtet, sich über seine Dienstzeiten zu informieren. Die Zeiten, in denen er sich informiere, seien auch nicht als Arbeitszeit zu bewerten. Die Informationspflicht bestehe als arbeitsvertragliche Nebenpflicht.
Der Arbeitnehmer dagegen meinte, er sei nicht verpflichtet, sich während seiner Freizeit darüber zu informieren, wann er zu arbeiten habe. Die Beklagte stelle auch die entsprechenden technischen Möglichkeiten wie ein Diensthandy oder einen PC nicht zur Verfügung und umgehe zudem mit ihrer Vorgehensweise die Anordnung von Rufbereitschaft, um Kosten zu sparen.

Der Notfallsanitäter zog vor das Arbeitsgericht (ArbG) und unterlag. In der Berufung entschied das LAG aber zugunsten des Arbeitnehmers.
Der Arbeitgeber musste nach Angaben des LAG damit rechnen, dass der Notfallsanitäter die ihm geschickte SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nahm. Zu diesem Zeitpunkt sei der Sanitäter verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehöre auch, die in seiner Freizeit bei ihm eingegangenen dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen.
Zwar übe ein Arbeitgeber mit einer Änderung des Dienstplans sein Direktionsrecht zulässig aus, die Änderung müsse dem Mitarbeiter aber auch zugehen. Daran fehle es, wenn der Mitarbeiter lediglich in seiner Freizeit über eine Änderung des Dienstplans informiert werde, so das LAG. Nehme er eine Änderung des Dienstplans nicht zur Kenntnis, gehe ihm diese formal daher erst bei Dienstbeginn zu. Da der Notfallsanitäter seine Arbeitsleistung ohne Erfolg angeboten hatte, sei der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Die Abmahnung müsse aus der Personalakte entfernt werden.
Es habe kein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorgelegen, urteilte das LAG. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dem Persönlichkeitsschutz.
„In seiner Freizeit steht dem Kläger dieses Recht auf Unerreichbarkeit zu. (…) Arbeit wird nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt”, so das Urteil wörtlich.

Quelle: Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 27. September 2022, Az. 1 Sa 39 öD/22

Fazit für die Praxis: Arbeitgeber haben zwar ein Direktionsrecht, das gilt aber nur im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit /(inkl. Rufbereitschaft u. ä.). Gehen dienstliche Informationen bzw. Anweisungen den Arbeitnehmern in ihrer Freizeit zu, können Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass Arbeitnehmer sie zur Kenntnis genommen haben bzw. sie umsetzen werden.
Arbeitgeber haben in diesem Fall nur wenig Handhabe zur Durchsetzung. Eine Möglichkeit wäre, die Arbeitnehmer vorab zu informieren bzw. mit ihnen abzusprechen, dass es (nur) im Notfall zu dienstlichen Anrufen o. ä. kommen kann und dann auf die Zustimmung der Arbeitnehmer zu setzen.

2023-01-18

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