Andreas Beck

Schockverliebt in einen “Verlorenen Ort”

Cora Geißler und Günter Oldiges haben ihr Herz in Mecklenburg verloren – an eine alte Papierfabrik

Neu Kaliß, Alte Papierfabrik in der Straße des Friedens. Die Berliner Familie Cora Geißler (42) und Günter Oldiges (50) hat sich einen Traum erfüllt: Die Lastenrad-Unternehmerin hatte sich sofort in das Areal Industriebrache Alte Papierfabrik verliebt – schock-verliebt, wie sie es nennt. Der Altbausanierungsfachmann mit eigener Firma sah hier ein Heimspiel und die Erfüllung eines Kindheitstraums. Manchmal passt es einfach.

„Hier war es von Anfang an positiv“, erklärt Günter Oldiges. „Jedes Gespräch war positiv: Endlich ist jemand da!“ Beide haben sofort gewusst, sie passen an diesen Ort und zu diesen Menschen hier in Neu Kaliß, an die Elde, in diesen Zipfel Mecklenburgs.

Die Alte Papierfabrik an der Elde hat eine lange Geschichte. Fotos: Andreas Beck

Romantisiert werden Gründung und Investition von beiden nicht. Cora Geißler spricht von einem zweiten „Standbein im nachhaltigen Tourismusbereich.“ Gerade das Berliner, im Sommer schon lange ausgebuchte, Lastenrad-Verleihgeschäft, sucht nach neuen Wegen für Großstadttouristen, neuen Destinationen, aber auch neuen, attraktiven Standorten in einem nachhaltig nutzbaren Naturraum. Die Gebäude der Alten Papierfabrik zu erhalten und für die Umnutzung umzubauen, ist für den Altbausanierer ein Heimspiel, wie er sagt. So etwas mache er bereits seit 1992.

Die Alte Papierfabrik an der Elde hat eine lange Geschichte. 1799 wurde wegen der günstigen Lage am Neue Elde Kanal eine Papiermühle betrieben. 1871 wurde die Feinpapierfabrik Felix Schoeller & Bausch gegründet und Ort der ersten maschinellen Papierherstellung in Mecklenburg. Sie erlangte einen exellenten Ruf. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den die Fabrik unbeschadte überstanden hatte, wurden Maschinen demontiert und gingen als Reparation nach Russland. Anfang der 1950er Jahre wurde die Papierfabrik verstaatlicht. Sie war weiter ein wichtiger Produzent von Papier- und Kartonprodukten bis hin zum Kaffeefilter. 1990 privatisiert, ging ein Teil der Fabrik an die Melitta-Unternehmensgruppe, die in der Nähe neu baute. Das ehemalige Fabrikgelände ist ein Industriedenkmal. Wasserwanderer ziehen heute an den großen, roten Backsteingebäuden vorbei.

So gesehen, war die Begegnung mit der Industriebrache Papierfabrik in Neu Kaliß ein doppelter Glücksfall: einerseits traf ein besonderer Ort auf qualifizierte Bewunderer mit den notwendigen Ressourcen zu Erwerb und Betrieb, andererseits waren ihnen aber auch die Potentiale des Areals, des Umfelds und der gesamten Region bewusst. Und auch der Weg sie zu nutzbar zu machen, wurde Schritt für Schritt deutlicher. Noch dazu kommt, in den vorhandenen Netzwerken und Strukturen der Regionalentwicklung mit offenen Armen und vielen klugen und interessanten Ideen empfangen worden zu sein.

„Selbst unsere eigenen Ideen, die wir jetzt haben, sind immer eigentlich inspiriert durch Besucher, durch Kontakte, durch Netzwerke.“ Die Großstadt sei deutlich anonymer, man denke zwar, die Möglichkeiten seien größer, da man auch viele Menschen treffe, aber die inhaltlichen Auseinandersetzungen „auf dem Dorf“ seien intensiver, gradliniger und fruchtbarer. So enständen auch größere, umsetzbare Ideen. „In der Stadt sind alle Orte schon belegt. Vor zwanzig Jahren war das auch in Berlin noch anders.“  

Cora Geißler

Das gesamte Gelände der Alten Papierfabrik haben die Geißler-Oltiges nicht erstanden. Zu ihrem Areal gehören die Inselfabrik, das Turmhaus und das Kontorhaus auf einer Grundfläche von etwa 15.000 Quadratmetern. Es ist viel zu sichern, vor allem die Dächer sind zu sanieren. Alles Schritt für Schritt und mit dem notwendigen Blick für Erhaltenswertes. „Alles ganz langsam, aber stetig“, beschreibt Oldiges seine Strategie. Helfen könnten im Augenblick gute Rahmenbedingungen in Kooperation mit der Verwaltung. Das konkrete Nutzungskonzept ist erst danach akut. Gemeinsame Ziele mit der Regionalentwicklung bestehen schon. Nachhaltig, generationenfördernd, Zusammenhalt entwickeln und leben – das steht jetzt an in der Region, in der sich vier strukturschwache Zipfel von Landkreisen in vier verschiedenen Bundesländern die Hand geben.

Das Industriedenkmal Alte Papierfabrik in diesem Sinne mit nachhaltigem Tourismus und Liebe neu zu beleben, kann dabei nur helfen! Viel Erfolg dabei!

IdeeBelebung Industriedenkmal Alte Papierfabrik
Der OrtAlte Papierfabrik Neu Kaliß
GründerCora Geißler und Günter Oldiges
Adresse:Straße des Friedens
19294 Neu Kaliß

Autor: Andreas Beck


Mehr zum Thema


Beitrag in der SVZ: Historisches in Neu Kaliß Alte Papierfabrik soll in neuem Glanz erblühen 
Print Friendly, PDF & Email