In einem Verfahren vor dem Bundessozialgericht ging es um die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung und in der Folge um die Versicherungspflicht.
Zum entschiedenen Fall:
Die Klägerin ist eine zur Versorgung Pflegebedürftiger zugelassene Pflegeeinrichtung. Da im streitigen Zeitraum keine (weiteren) Fachkräfte zur Festanstellung zu finden waren, bediente sie sich in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmern und Honorarkräften (bis zu 85 %).
Ein staatlich anerkannter Altenpfleger und Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege (Beigeladener) entschied sich ab September 2012 zur freiberuflichen Tätigkeit, um seine Arbeitszeit frei bestimmen zu können und sich finanziell zu verbessern.
Die Klägerin und der Beigeladene schlossen einen „Dienstleistungsvertrag” für die Zeit vom 6.11. bis 14.11.2012 und 21.11. bis 28.11.2012. Er enthielt die Verpflichtung des Beigeladenen, die vereinbarten Aufträge in eigener Verantwortung auszuüben und die Interessen der Klägerin zu berücksichtigen. Vereinbart waren ein fester Stundenlohn und eine Arbeitszeit von täglich mindestens zehn Stunden bei möglicher Mehrarbeit. Die Klägerin hatte freie Unterkunft und Verpflegung zu gewähren und sich nach Absprache um Arbeitskleidung zu kümmern.
Für den Fall, dass der Vertrag keine anderen Bestimmungen enthält, wurde die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen und der allgemeinen Grundsätze des Arbeitsrechts vereinbart. Für die Folgezeiträume wurden keine schriftlichen Vereinbarungen unterzeichnet, die Vertragsparteien waren sich aber einig, dass die vorgenannten Regelungen gelten sollten.
Antrag auf Statusfeststellung
Im Oktober 2013 stellte der Beigeladene einen Antrag auf Statusfeststellung. Die Beklagte (Deutsche Rentenversicherung Bund) stellte nach Anhörung gegenüber ihm und der Klägerin fest, dass seine Tätigkeit als Pflegefachkraft in den streitbefangenen Einsatzzeiträumen im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und Versicherungspflicht ab dem Tag der Aufnahme der Beschäftigung bestehe.
Mit ihrer Revision (gegen das Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg, L 10 R 91/17) rügt die Klägerin eine Verletzung von § 7 Abs 1 SGB IV, denn:
- die Auslegung des Dienstleistungsvertrages ergebe den Willen der Vertragsparteien, eine selbstständige Tätigkeit zu vereinbaren.
- es habe dem Beigeladenen freigestanden, angebotene Dienste abzulehnen.
- er sei auch für andere Auftraggeber tätig gewesen.
- ihm seien keine Weisungen erteilt worden, hierfür habe auch keine Rechtsmacht bestanden.
- auch eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin liege nicht vor. Die Anpassung an die Struktur des Betriebes ergebe sich bei der stationären Altenpflege aus der Natur der Sache. Das Tätigkeitsfeld einer angestellten Pflegefachkraft unterscheide sich von demjenigen von Freiberuflern und umfasse organisatorische und administrative Aufgaben.
- der Beigeladene habe nicht an Fortbildungen, Besprechungen oder sonstigen Veranstaltungen der Klägerin teilgenommen.
- er sei nicht verpflichtet gewesen, bestimmte Dienste oder eine Mindeststundenzahl je Dienst zu übernehmen und sich ins Schichtsystem einzufügen.
- Er sei nach außen als Selbstständiger aufgetreten.
- auch ein Unternehmerrisiko habe mit der Aufnahme eines Kredits, dem zeitlichen Aufwand für Auftragsakquise und Rechnungslegung sowie weiteren Kosten vorgelegen.
- eine Haftungsbeschränkung wie bei Arbeitnehmern habe nicht bestanden.
- die Honorarhöhe sei Indiz einer selbstständigen Tätigkeit.
Die Revision der Klägerin vor dem Bundessozialgericht wurde zurückgewiesen. Der Beigeladene sei in seinen Einsätzen als Altenpfleger bei der Klägerin gegen Arbeitsentgelt abhängig beschäftigt und deshalb in der GKV, GRV und sPV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig gewesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Begründet wurde dies u. a. damit:
- Für eine nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehende selbstständige Tätigkeit müssen gewichtige Indizien bestehen. Zwingende Regelungen des Sozialversicherungsrechts können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass Beschäftigungsverhältnisse als Honorartätigkeit oder Dienstleistung bezeichnet werden.
- Die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats geltenden Maßstäbe bei der Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit sind auch bei Tätigkeiten von Honorarkräften in Pflegeheimen anzuwenden.
- Dass Pflegefachkräfte, die eine staatlich anerkannte Abschlussprüfung an einer Pflegefachschule absolviert haben, grundsätzlich frei und eigenverantwortlich handeln, lässt nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit schließen.
- Umgekehrt ist nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Pflegeheimes zwingend eine abhängige Beschäftigung anzunehmen.
- Indizien für eine die Tätigkeit prägende fremdbestimmte Eingliederung in den Betrieb eines Pflegeheimes können aber in der Gesamtschau vorliegen, wenn eine Pflegefachkraft eine von der stationären Pflegeinrichtung geschuldete (Teil-)Leistung innerhalb der von diesem vorgegebenen Organisationsabläufe erbringt, die Betriebsmittel des Pflegeheimes nutzt und arbeitsteilig mit dem übrigen Personal in den vorgegebenen Strukturen zusammenarbeitet.
- Ein nennenswertes Unternehmerrisiko der jeweiligen Pflegefachkräfte konnte nicht festgestellt werden.
- Der Mangel an Pflegefachkräften ändert an der statusrechtlichen Beurteilung nichts.
Statusbeurteilung durch das Gericht
Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben.
Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen.
Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen.
Nach Prüfung aller Umstände sei das Landessozialgericht zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Indizien für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen überwiegen.
(Quelle und ausführlicher Text: Bundessozialgericht, Urteil vom 07.06.2019, B 12 R 6/18 R
Hinweis:
Diese Entscheidung verdeutlicht noch einmal, wie wichtig es für Arbeitgeber ist, vor Beschäftigung von Honorarkräften oder Freiberuflern abklären zu lassen, ob eventuell doch eine Arbeitnehmereigenschaft aufgrund von Scheinselbstständigkeit vorliegt, um dadurch ein Haftungsrisiko für Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu vermeiden.