Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Jahresurlaub

Ein Arbeitnehmer darf seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verlieren, weil er keinen Urlaub beantragt hat.

Weist der Arbeitgeber jedoch nach, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendi­gung des Arbeitsverhältnisses  – dem Wegfall einer finanziellen Vergütung nicht entgegen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteilen vom 06.11.2018 in zwei verbundenen Rechtssachen zu der Frage Stellung genommen, inwieweit ein Arbeitnehmer seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub automatisch verliert, wenn er keinen Urlaub beantragt hat.

In der ersten Rechtssache absolvierte der Kläger als Rechtsreferendar beim Land Berlin seinen juristischen Vorbereitungsdienst. Er hatte sich in den letzten fünf Monaten seines Referendariats dazu entschieden, keinen Jahresurlaub zu nehmen.
Nach Abschluss seines Referendariats beantragte der Kläger eine finanzielle Abgeltung des nicht genommenen Resturlaubs.
Das Land Berlin lehnte den Antrag mit der Begründung ab, § 9 der Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter sehe einen Abgeltungsanspruch nicht vor.
(zum Urteil C-619/16)

Im zweiten entschiedenen Fall war der Kläger bis zum 31. Dezember 2013 aufgrund mehrerer befristeten Arbeitsverträge bei der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) beschäftigt.
Mit Schreiben vom 23.10.2013 forderte die MPG ihn auf, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Urlaub zu nehmen,ohne Urlaubstage von sich aus einseitig und für den Kläger verbindlich festzulegen. Da der Kläger nur zwei Tage Urlaub nahm, forderte er die MPG zur Zahlung und Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen auf.
(zum Urteil C-684/16)

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie es nicht zulässt, dass ein Arbeitnehmer die ihm zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub automatisch deshalb verliere, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub beantragt habe.
Diese Ansprüche könnten nur dann untergehen,wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen,was der Arbeitgeber zu beweisen habe.
Zeige sich, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenen Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, stehe Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie dem Verlust dieses Anspruchs und -bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.

Praxishinweis:

Arbeitgeber werden zukünftig darauf achten müssen, dass sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumen, ihren Urlaub zu nehmen und dies nachweisen kann. Dazu genügt es, den Arbeitnehmern rechtzeitig mitzuteilen, dass ihr Urlaub am Ende des Bezugs- oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn sie ihren Urlaub nicht nehmen.

Wollen Arbeitgeber zukünftig sicherstellen, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub nehmen, kann es sich anbieten, stärker vom Bestimmungsrecht des Arbeitgebers Gebrauch zu machen.
Danach dürfen  Arbeitgeber den Urlaubszeitraum selbst verbindlich festlegen,wenn die Arbeitnehmer keine Urlaubswünsche äußern. Arbeitgeber sind jedoch auch zukünftig nicht verpflichtet, ihre Arbeitnehmer zu zwingen, den ihnen zustehenden Urlaub tatsächlich zu nehmen.

2018-11-22

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