Er gerbt seinen Kunden das Fell

Steffen Kottke betreibt in Roggenhagen bei Neubrandenburg eine Gerberei. Er ist einer von dreien in Mecklenburg-Vorpommern. Deutschlandweit gibt es nur noch ganz wenige Gerber, die diesem Handwerk in klassischer Form nachgehen: In seiner Scheune wird alles in Handarbeit gemacht. Die Nachfrage ist so groß, dass Kunden bis zu sechs Monate auf ihr fertiges Fell warten müssen.

Steffen Kottke genießt seine unternehmerische Freiheit: „Ich habe nicht mehr den Druck morgens um 5.45 Uhr aufstehen zu müssen. Ich fange meist gegen 9.00 Uhr an, wenn meine Frau zur Arbeit fährt. Vorher gehe ich mit meinen Rauhhaardackeln, die ich züchte, in die Natur. Nicht selten bin ich auch noch spät abends, wenn meine Frau von der Arbeit kommt, in der Gerberei. Doch meine Arbeit macht mir unheimlich Spaß. Das ist so in Ordnung.“ Foto: Grit Gehlen

Steffen Kottke genießt seine unternehmerische Freiheit: „Ich habe nicht mehr den Druck morgens um 5.45 Uhr aufstehen zu müssen. Ich fange meist gegen 9.00 Uhr an, wenn meine Frau zur Arbeit fährt. Vorher gehe ich mit meinen Rauhhaardackeln, die ich züchte, in die Natur. Nicht selten bin ich auch noch spät abends, wenn meine Frau von der Arbeit kommt, in der Gerberei. Doch meine Arbeit macht mir unheimlich Spaß. Das ist so in Ordnung.“
Foto: Grit Gehlen

Agraringenieur Steffen Kottke hat seinen einst so geliebten Beruf an den Nagel gehängt, um sich seinen neuen beruflichen Traum zu verwirklichen. In der alten Scheune auf seinem Grundstück eröffnete der 52-Jährige Ende 2013 die Gerberei Kottke. Sein Handwerk erlernte er bei Horst Haubold in Plau am See, der kürzlich in Rente ging. Zu ihm hatte Steffen Kottke, der in der Freizeit gern zur Jagd geht, jahrelang seine Felle und die Felle anderer Jäger zum Gerben gebracht. „Kurz vor seiner Pension arbeitete er mich über Monate ein und steht mir auch heute noch mit Rat und Tat zur Seite“, erzählt der Jungunternehmer dankbar.
Manches gelinge ihm zwar noch nicht so, wie es müsste. „Ich lerne aber durch meine Fehler immer dazu“, sagt Steffen Kottke und schmunzelt.

Mit seinen kräftigen rauen Händen rührt er in einem großen blauen Kunststofffass. Darin schwimmen Felle aller Art und Pelzfelle. Die mit Wasser

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Eine dicke Salzschicht entzieht den Fellen die Feuchtigkeit. Foto: Grit Gehlen

verdünnte Ameisensäure soll das Leder aufnahmefähig machen für die Gerbstoffe. Diesen Vorgang nennt man pickeln. Zuvor haben die Felle allerdings unter einer dicken Schicht Salz gelegen, das die Feuchtigkeit entziehen soll. Nach einem Bad in Seifenlauge landet es dann in eben diesem blauen Kunststofffass in der Ameisensäurelösung. Sie verbleiben darin mal länger, mal kürzer – je nach Lederdicke. Erst danach folgt das tatsächliche Gerben. Bestimmte chemische Zusätze sorgen dafür, dass die Tierhaut haltbar und geschmeidig wird. Nach der Gerbung und dem anschließenden Trockenvorgang wird die Lederseite gebakelt auf einer entsprechenden Maschine,. Dadurch wird das leder gestreckt und weich gemacht. Anschließend wird es geschliffen und geklopft, um letzte trockene Verunreingungen aus dem Haar zu entfernen.

Mit einem Rundmesser, das scharf wie eine Rasierklinge ist, wird das Fell entfleischt und das Leder immer dünner. „Die Rückseite muss dünn, weich und geschmeidig werden. Das Leder darf nicht rascheln“, erklärt er geduldig und holt eine Fellbürste.
Auch das Bürsten ist wieder eine Kunst für sich und jeder Kunde wünscht es sich anders. „Ich hatte schon Kunden, die haben ihr Schaf nicht wiedererkannt. So gut hatte ich gebürstet.“ Die Strähnen und bestimmte Schattierungen waren nicht mehr zu sehen. Nun bürstet Steffen Kottke die Felle vorsichtiger schön flauschig.

„Meine Frau war anfangs sehr skeptisch, als ich die Selbstständigkeit plante“, erinnert sich Steffen Kottke. Sie argumentierte mit einem sicheren Gehalt am Monatsende. Doch Steffen Kottke hatte von Anfang an ein gutes Gefühl, „weil ich gesehen habe wie gut das bei dem Haubold lief.“ Foto: Grit Gehlen

„Meine Frau war anfangs sehr skeptisch, als ich die Selbstständigkeit plante“, erinnert sich Steffen Kottke. Sie argumentierte mit einem sicheren Gehalt am Monatsende. Doch Steffen Kottke hatte von Anfang an ein gutes Gefühl, „weil ich gesehen habe wie gut das bei dem Haubold lief.“
Foto: Grit Gehlen

Die Felle von Kuh, Waschbär, Kaninchen, Damwild oder Fuchs bekommt er von Jägern und Landwirten aus der Region, aber auch aus den entlegensten Winkeln Deutschlands zum Aufarbeiten zugeschickt. „Die Schaffelle kaufe ich selber zu und mache daraus Baby-Lammfelle. Die will ich auf dem Neubrandenburger Weihnachtsmarkt verkaufen. Im letzten Jahr hatte ich zum Test zwei mit. Die waren sofort weg“, erinnert sich Steffen Kottke. Gerber6

Die Idee, sich auf dem Weihnachtsmarkt zu präsentieren, hatte Michael Wiese von der Handwerkskammer in Neubrandenburg. „Die Handwerkskammer war auch mein erster Anlaufpunkt nach meiner Kündigung im Landwirtschaftsbetrieb. Zusammen mit Herrn Wiese habe ich mein Gründungskonzept geschrieben. Er hat mir zu einem Existenzgründerlehrgang geraten und mir geholfen, einen Fördermittelantrag zu schreiben“. Gerber7Fast 9.000 Euro bekam Steffen Kottke aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Insgesamt hat er rund 30.000 Euro investiert in den Neuanfang als Gerber. „Mit den Fördermitteln und meinem Geld aus dem Bausparvertrag habe ich die Scheune aus- und umgebaut, das Dach neu gedeckt, gebrauchte Maschinen und einen Fettabscheider gekauft.“ Da Steffen Kottke mit chemischen Mitteln arbeitet, musste auch der Wasser- und Abwasserzweckverband um Erlaubnis gefragt werden, der hohe Auflagen an die Gerberei Kottke stellte. „Das zog sich ewig hin“, erinnert sich der 52-Jährige. Doch auch hier griff Michael Wiese ein und vermittelte.
Um die Buchhaltung kümmert sich eine Steuerberaterin. „Wir hatten zwar das Thema Steuern im Existenzgründerlehrgang, aber da muss ich geschlafen haben. Das sind für mich immer noch böhmische Wälder.“ Steffen Kottke lacht.
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Zeit für Steuererklärungen hätte er wohl eh nicht.

 Der 52-jährige Steffen Kottke kann sich jetzt kurz nach dem Start in die Selbstständigkeit nur schwer vorstellen irgendwann in Rente zu gehen: „Mein Plan ist, die Gerberei bis ins hohe Alter zu führen. Ich muss einfach immer irgendwas zu tun haben, was mir Spaß macht. Vielleicht trete ich mit 65 aber etwas kürzen, um zu reisen.“ Foto: Grit Gehlen

Der 52-jährige Steffen Kottke kann sich jetzt kurz nach dem Start in die Selbstständigkeit nur schwer vorstellen irgendwann in Rente zu gehen: „Mein Plan ist, die Gerberei bis ins hohe Alter zu führen. Ich muss einfach immer irgendwas zu tun haben, was mir Spaß macht. Vielleicht trete ich mit 65 aber etwas kürzen, um zu reisen.“
Foto: Grit Gehlen

Seine Tage sind lang und werden im Winter noch länger. „Wenn im November die Jagdsaison losgeht, dann werden wieder viele Jäger ihre Felle bringen. Bis dahin will ich noch den Dachboden der Scheune zum Trockenraum ausbauen, und dann muss ich mir noch was einfallen lassen, wie ich mehr Warmwasser produzieren kann.“
Es warten also noch viele kleine und größere Baustellen. Doch Steffen Kottke bleibt gelassen. „Das war nicht immer so. In den ersten Monaten habe ich zu viel gewollt. Ich hab hier was angefangen und nebenbei noch was anderes begonnen und hatte dann immer das Gefühl, ich werde nicht fertig.“

Planlosigkeit ist gefährlich, fasst er seine Erfahrung kurz und bündig zusammen: „Man muss jeden Tag einen Plan haben und was man anfängt, zu Ende machen, bevor man eine neue Baustelle aufmacht.“

Grit Gehlen

Kontakt

Fell- und Pelzgerberei
Bahnhofstraße 6
17039 Roggenhagen
Tel. 039608 – 200 36
Mobil: 0160 – 733 979 7
Mail: info@gerberei-haubold-kottke.de
Internet: www.gerberei-haubold-kottke.de

Wenn Kunden es wünschen, stellt Steffen Kottke auch gleich einen Kontakt zu einer Kürschnerin in Loitz bei Demmin her, die aus den Fellen Muffs, Mützen oder Decken anfertigt. Foto: Grit Gehlen

Wenn Kunden es wünschen, stellt Steffen Kottke auch gleich einen Kontakt zu einer Kürschnerin in Loitz bei Demmin her, die aus den Fellen Muffs, Mützen oder Decken anfertigt.
Foto: Grit Gehlen

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