Selbstständigkeit: “Lebensqualität, die man in Geld nicht ausdrücken kann”

Eigentlich wollte Maria Neumeister Grundschullehrerin werden. Kurz vor dem Termin zum 1. Staatsexamen machte die junge Frau kurzerhand ihr Hobby zum Beruf. Unter dem Pseudonym nähmarie ist die 32-Jährige im Netz zu finden. Fröhliche und außergewöhnliche Einzelstücke – wie Kosmetiktaschen oder Schals – werden von ihr in liebevoller Handarbeit angefertigt. Ob die junge Frau den Traum der Grundschullehrerin endgültig begraben hat? – auch darüber erzählt sie in diesem Interview.

Beim Start in die Vollselbstständigkeit war die Jungunternehmerin schon aufgeregt, es gab auch schlaflose Nächte: “Heute gibt es nur noch schlaflose Nächte, wenn ein Großauftrag rechtzeitig fertig werden muss oder das Weihnachtsgeschäft vor der Tür steht.” alle Fotos: Maria Neumeister

Frau Neumeister, Sie haben schön während des Studiums im Nebenerwerb gegründet. Warum haben Sie Ihr Hobby nicht einfach weiter nebenher betrieben und das Referendariat absolviert?

Mir wurde zu diesem Zeitpunkt klar, dass ich nicht beides machen könnte. Mein Nebengewerbe nahm immer mehr Zeit in Anspruch, was sich mit dem Studium noch irgendwie vereinbaren ließ. Aber gleichzeitig  mit voller Kraft als Lehrerin im Refendariat arbeiten und nähmarie betreiben, wäre unter keinen Umständen möglich gewesen.  Mein Unternehmen verlor zu diesem Zeitpunkt gerade seinen Kleinunternehmerstatus und wurde umsatzsteuerpflichtig. Dieser Umstand erleichterte mir die Entscheidung, es einfach zu versuchen. Das war kein Entschluss, den ich von heute auf morgen getroffen habe und er ist mir unglaublich schwer gefallen. Mir hat auch die Arbeit mit Schülern immer sehr viel Freude bereitet. Aber ich war damals wahrscheinlich schon zu sehr Unternehmerin, als dass ich mein ganz gut laufendes nähmarie-Projekt einfach an den Nagel hätte hängen können.

Erinnern Sie sich noch an die ersten Tage Ihrer Selbstständigkeit? Lief alles wie geplant?

Diese „ersten Tage“ als Selbstständige gab es bei mir in diesem Sinn nicht. Ich habe das ja nie mit einem Masterplan verfolgt, sondern bin über einen längeren Zeitraum einfach hineingerutscht: Zuerst war ich nur für mich und Freunde kreativ, später auch für deren Freunde. Das kam so gut an, dass ich irgendwann darüber nachdachte ein paar dieser Sachen auch zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt gründete sich gerade DaWanda – eine inzwischen sehr bekannte Online-Verkaufsplattform für Handgemachtes – und mir bot sich eine einfache Möglichkeit, meine Kreationen auch einem breiteren Publikum im Internet anbieten zu können. Das war 2007 und der Zeitpunkt, an dem ich mein Gewerbe anmeldete und plötzlich Kleinunternehmerin war – mit allem was dazugehört, aber ohne vorher genaues zu wissen. Anschließend gab es ein paar schlaflose Nächte, die ich mir mit Lesestoff zu Themen wie Buchhaltung, Steuerrecht und Versicherungsfragen um die Ohren schlug. Heute gibt es nur noch schlaflose Nächte, wenn ein Großauftrag rechtzeitig fertig werden muss oder das Weihnachtsgeschäft vor der Tür steht.

Wie werden die Kunden auf Ihre Angebote aufmerksam?

In erster Linie durch das Internet, aber auch durch Kundenempfehlungen. Jüngere Leute kommen oft vorbei, weil sie davon gehört haben oder zufällig am Studio vorbeilaufen – sie wollen sich umschauen, eigene Nähwünsche einbringen oder ein bestimmtes Produkt kaufen, dass sie z.B. auf meiner Facebook-Fanpage entdeckt haben. Ältere Leute kommen eher, wenn es einen Fernsehbeitrag oder Zeitungsartikel über nähmarie gab. Sie fühlen sich mit Handarbeiten noch sehr verbunden, finden die Idee toll und erzählen gern Geschichten von früher.  Ich habe kleinere Läden in unterschiedlichen Städten, die ausgewählte Produkte verkaufen und betreibe inzwischen drei Online-Shops bei DaWanda: Einen für meine selbsthergestellten Produkte,  einen für seltene Vintage-Stoffe & Nähzubehör und einen weiteren für besondere Vintage-Fundstücke wie Mode, Geschirr & Kleinmöbel.

Wie erfolgreich sind Sie mit Ihrem Unternehmen?

Das kommt ganz darauf an, woran man Erfolg misst. Finanziell gesehen kann ich meinen Lebensunterhalt damit bestreiten, aber so wirklich reich werde ich damit sicher nicht. Ab und an gibt es auch mal finanzielle Durststrecken, aber ich mache fast jeden Tag worauf ich 100-prozentig Lust habe. Das ist für mich Lebensqualität, die man in Geld nicht ausdrücken kann.

Welche Rechtsform haben Sie für Ihr Unternehmen gewählt und warum?

Angefangen habe ich als umsatzsteuerbefreite Kleinunternehmerin, weil es am unkompliziertesten für mich war. Inzwischen bin ich ganz normale Einzelunternehmerin. Da ich mein Business (noch) allein betreibe, habe ich über die Rechtsform gar nicht viel nachgedacht.

Als Unternehmerin wurden Sie sicher nicht geboren. Wie, wo und mit wem  haben Sie sich damals fit gemacht für die Selbstständigkeit?

Ich habe mein Abitur am Wirtschaftsgymnasium absolviert. Damals wusste ich aber natürlich noch nicht, dass das einmal Bedeutung für mich haben könnte. Rechnungswesen, BWL & Rechtslehre waren absolut keine Lieblingsfächer. Heute helfen mir diese Kenntnisse vielleicht ein wenig bei der Buchhaltung und Unternehmensführung. Einen Existenzgründerkurs habe ich nicht gemacht, da die Selbstständigkeit zunächst nur als kleiner Nebenerwerb zum Studium geplant war und ich damals nicht im Traum daran gedacht hätte, irgendwann einmal daraus meinen Haupterwerb zu machen. Als es dann ernster wurde, habe ich bei diversen Anlaufstellen Hilfe gesucht, z.B. beim Wirtschaftsministerium, das für die Kultur- und Kreativwirtschaft im Land zuständig ist oder auch bei der IHK und auch beim Existenzgründerzentrum der Uni Rostock.
Tipps und Impulse hole ich mir heute in erster Linie im Austausch mit anderen Selbstständigen in der Kreativbranche.

Rückblickend: Welche Wissenslücken gab es vor dem Start in die Selbstständigkeit?

Zu viele! Zum Schritt in die Selbstständigkeit gehört aber wahrscheinlich auch immer ein wenig Übermut. Hätte ich vorher von den ganzen Wissenslücken gewusst, hätte ich mich das alles wahrscheinlich nie getraut.

Brauchten Sie Geld für Ihre Gründung? Haben Sie damals oder später Fördermittel beantragt?

Als es ernster wurde, war es für einen Gründungszuschuss leider schon zu spät, da mein Gewerbe ja bereits einige Jahre existierte. Ich habe keine Fördermittel erhalten und auch keinen Kredit beantragt, sondern alles Schritt für Schritt selbst finanziert. Das war nur möglich, weil mein Unternehmen sehr langsam wachsen konnte und ich die Maschinen, Räumlichkeiten und Arbeitsgeräte je nach Bedarf erweiterte. Außerdem habe ich den großen Vorteil, den Upcycling-Gedanken, der bei meinen Produkten eine große Rolle spielt, auch bei der Einrichtung im Studio umsetzen zu können:  Alle Möbel und Tische sind zum größten Teil selbstgebaut oder wurden gebraucht gekauft, selbst meine alte Textima-Nähmaschine ist noch ein Relikt der florierenden DDR-Textilindustrie. Das passt natürlich super zum Konzept, aber damit konnte ich auch eine Menge Geld sparen, das ich für eine komplette Ladeneinrichtung gar nicht gehabt hätte. Das erste Möbelstück, das ich für den Laden hatte, habe ich neben meiner Haustür auf dem Sperrmüll gefunden: Ein super erhaltener Küchen-Waschtisch mit Emailleschüsseln aus den 70er Jahren. Heute beherbergt er Stoffe und hat maßgeblich zum Farbkonzept des Studios beigetragen.

Was ist der entscheidendste Faktor, damit Nähmarie den Durchbruch schafft?

Vielleicht ist es Leidenschaft, vielleicht einfach Durchhaltevermögen, vielleicht auch nur eine gute Idee.
Seit wann schreiben Sie schwarze Zahlen?
Schwarze Zahlen konnte ich glücklicherweise von Anfang an schreiben, was nur durch die weiter oben genannten Umstände möglich war – also kein Kredit und keine großen Neuanschaffungen. Aber klar gibt es Monate die besser laufen als andere und dann gibt es Monate, die so richtig nerven. Glücklicherweise gibt es aber auch das Gegenteil.

Wo sehen Sie in der nächsten Zeit ihre größten Herausforderungen?

Meine persönlich größte Herausforderung liegt im Zeitmanagement. Ich habe stets einen Haufen offener Projekte herumliegen und neue Ideen im Kopf, an denen ich gleichzeitig arbeite. Kundenaufträge, Workshops, Blogbeiträge, Buchprojekte… Da verlier ich manchmal echt den Überblick, dann muss ich mich hinsetzen und schauen, was davon Priorität hat. Aber irgendwie brauche ich dieses kreative Chaos auch zum Arbeiten, das war zum Leidwesen meiner Familie schon immer so.

Gibt es etwas, das noch fehlt? Ein Mitarbeiter, Geld oder eine Maschine?

Also wenn ich drei Unternehmenswünsche frei hätte, könnte ich alles davon gebrauchen – es geht aber auch ohne weiter. Wobei eine Art Mitarbeiterin tatsächlich endlich in Aussicht ist.

“Jüngere Leute kommen oft vorbei, weil sie davon gehört haben oder zufällig am Studio vorbeilaufen – sie wollen sich umschauen, eigene Nähwünsche einbringen oder ein bestimmtes Produkt kaufen, dass sie z.B. auf meiner Facebook-Fanpage entdeckt haben.” alle Fotos: Maria Neumeister

Nutzen Sie Social Media Kanäle um sich und Ihr Unternehmen bekannt zu machen?

Ja, sehr stark und mit unterschiedlich hohem Zeitaufwand. Ich habe eine Facebook-Fanpage, nutze Instagram und Twitter und noch einige kleinere Social Media Kanäle wie Pinterest und Tumblr. Die sind alle miteinander verknüpft und kosten – wenn man sich erstmal eingespielt hat – weniger Zeit als man denkt. Am intensivsten beschäftigt mich mein Blog, der inzwischen über 1.000 feste Leser hat. Dort teile ich Einblicke in meine Kreativwerkstatt, zeige neue Produkte, schreibe über meine Heimat und gebe Tipps und Anleitungen zum Nähen und Handwerken. Dabei geht es weniger um Werbung im eigentlichen Sinn, sondern viel mehr darum, meinen Lesern einen Mehrwert zu geben und eine positive Verbindung zu nähmarie zu schaffen. Ich versuche zwei- bis dreimal die Woche zu bloggen, je nach Auftragslage ist es dann auch mal weniger. Ich schätze, ich verbringe ca. ein bis zwei Stunden pro Tag in den sozialen Netzwerken.

Ergänzen Sie bitte die folgenden Stichpunkte zu einem Satz:

Selbstständig sein bedeutet für mich,… die Freiheit zu haben, mich den ganzen Tag mit Dingen zu beschäftigen, die ich liebe.

Würde ich noch mal neu starten, dann…
würde ich mich vorab besser informieren und auf mögliche Gründerzuschüsse zurückgreifen. Einfach ins Blaue springen ist auch okay, kostet aber unnötig Zeit und Nerven.

Angehenden Gründerinnen und Gründern rate ich,… sich mit anderen Neugründern und bereits Selbstständigen so gut es geht zu vernetzen.

Kontakt:
nähmarie Inhaberin Maria Neumeister
Niklotstr. 11
18057 Rostock
Telefon: 03812107821 (aber per Mail immer schneller erreichbar!)
E-Mail: post@naehmarie.de

www: www.naehmarie.de
Facebook-Seite: www.facebook.com/naehmarie
Twitter: https://twitter.com/naehmarie
Instagram: http://instagram.com/naehmarie/
Vimeo-Video: http://vimeo.com/kaikueken/naehmarie

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