Warum Innovation kein Selbstläufer ist

Als Sabeer Bhatia Mitte der 1990er Jahre von seinem Arbeitgeber verboten wurde, im Büro private E-Mails zu lesen, hatte er zusammen mit einem gleichgesinnten Kollegen die Idee, sich E-Mails heimlich im erlaubten Webbrowser anzeigen zu lassen. Ein Jahr später war HoTMaiL (Schreibweise wegen der Darstellung im HTML-Browser) geboren – der damals erste und später an Microsoft für 400 Mio. Dollar verkaufte, inzwischen dutzendfach kopierte E-Mail-Dienst der Welt. Heute sind WEB.DE, GMX, YAHOO und viele andere nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken, jeder Provider bietet den als Webmail bezeichneten Dienst inzwischen seinen Kunden an. Dabei hatten Sabeer Bhatia und Jack Smith ursprünglich gar nicht vor, ein Unternehmen zu gründen oder reich zu werden. Sie schrieben auch keine Förderanträge oder besuchten Gründerseminare – sie lösten einfach ein kleines Problem.

Foto: pixelio.de

Wer sich mit Gründerstories beschäftigt, wird reihenweise genau solche Geschichten lesen: Menschen lösen Probleme. Ambitioniert, engagiert, manchmal erfolgreich nur für sich, manchmal weltweit. Denn inzwischen können wir davon ausgehen, dass Millionen Menschen ähnlich wie wir leben und damit, rein statistisch betrachtet, auch ähnliche Probleme haben, für die sie eine Lösung suchen. Daraus ergibt sich ein Markt. Was machen wir also, wenn wir doppelte Namenseinträge aus unserer E-Mail-Adressliste nicht einfach automatisch zusammenfügen können? Und warum ist das Autoschlüsselgehäuse eines Oberklasse-Autos eigentlich aus dem gleichen Plastikmaterial, wie das eines Kleinwagens? Warum gibt es im Supermarkt dutzende Sorten Weizennudeln, aber keine einzige aus Dinkel oder Reis? Es gibt schaltbare Verteilerdosen, aber keine schaltbaren Verlängerungsschnüre. Auf Android-Smartphones quälen sich die Nutzer in nichtanglophonen Sprachen mit englischem Tastaturlayout. Und Nahverkehrsanbieter räumen zwar Rabatte über Zeitkarten, nicht aber für die Häufigkeit des Fahrens ein. Alles Probleme, die in den vergangenen Monaten zum Teil bereits Lösungsansätze bzw. Produkte nach sich gezogen haben. Vereinzelt und zögerlich. Man mag sich fragen, ob z.B. der exportorientierte Maschinenbau in Deutschland so erfolgreich ist, weil die betreffenden Unternehmen flächendeckend und traditionell in Innovation investieren. Oder besser noch: Weil nicht nur die Branche, sondern auch die Standortregionen ein Klima der Innovation schaffen.

Diesen Weg geht inzwischen auch Mecklenburg-Vorpommern. Hier haben sich die Technologiezentren des Landes 2012 zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen, um ihre innovationsfördernden Aufgaben unter einer gemeinsamen Marke zu realisieren: dem Verbund der Technologiezentren in Mecklenburg-Vorpommern, kurz VTMV. Dem etwas sperrigen Verbandsnamen haben sie ein deutlich griffige-res Zugpferd an die Seite gestellt:den INNO AWARD – einen jährlich gestifteten, branchenunabhängigen Innovationspreis, den die Technologiezentren zusammen mit Consulting-Partnern aus der Wirtschaft herausgeben.

„Unsere immer komplexere Welt fordert Ideenvielfalt und Innovation geradezu heraus. Und nie waren die Bedingungen besser als heute. Sie füllen ein vorbereitetes PDF-Formular aus und schicken uns das per Mail“, sagt Mario Kokowsky, Vereinsvorsitzender und Geschäftsführer des Technologiezentrums Vorpommern in Greifswald. „Da erkennt jemand z.B. ein technisches Problem und hätte möglicherweise auch eine Idee zur Lösung, fühlt sich aber nicht in der Lage, das auch umzusetzen. Und resigniert, weil er nicht weiß, an wen er sich wenden soll – ein ganz  typischer Fall.“ Der Verein möchte ein Zeichen dafür setzen, dass Technologiezentren eben keine Büroraumvermieter sind, sondern in erster Linie Innovationsberater. „Büroräume kann man auch woanders bekommen. Unsere Funktion sehen wir darin, eine Idee zum Leben zu erwecken. Der eine braucht vielleicht wirklich Büroräume, aber die meisten brauchen Knowhow, wie z.B. einen speziellen Marktauftritt, eine Patentrecherche oder technische Unterstützung. Und dafür haben wir dann unsere Netzwerke“, meint der Geschäftsführer des ITC in Bentwisch, Ralph-Michael Achtenhagen. „Mit dem INNO AWARD schaffen wir zusätzlich eine Art jährlich wiederkehrende Ideenbewertungsbörse. Wir und unsere Consulting-Partner schauen uns die eingereichten Ideen an, bewerten Knowhow, recherchieren die Patentsituation, analysieren Marktpotential und Umsetzbarkeit und geben ein Votum ab. Wenn eine Idee wirklich vielversprechend ist, haben wir durch die Preisgestaltung einen Anreiz gegeben, diese Idee in einem unserer sieben Technologiezentren umzusetzen – das muss aber nicht in Anspruch genommen werden. Zurzeit sind die Technologiezentren des Landes ohnehin weitgehend belegt, aber wir orientieren da auf die Zukunft.“


Grit Schmelzer (links im Bild) und der Vorsitzende des Technologieverbundes Mario Kokowsky, sind gespannt, was für Ideen eingereicht werden.
Foto: privat

Wie wichtig eine breite Beteiligung der Bevölkerung an der Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft ist, hatte bereits die ehemalige DDR mit der sogenannten „Neuererbewegung“ erkannt, die allerdings eher autoritäre Anordnung, als innovative Bewegung war und meistens zur staatskonformen Makulatur verkam. In dem rohstoffarmen Land gab es sicher die Notwendigkeit, aber keine Anreize für Innovation. Volkswirte der westlichen Welt vertrauten lieber dem Ökonomen Robert Solow, der 1987 den Nobelpreis dafür bekam, dass er als wichtigste Quelle des Wachstums einer Gesellschaft ein Fortschritt-Modell deklarierte. Wie dieser genau entsteht, blieb allerdings unbeantwortet. Inzwischen stützen sich die Wirtschaftswissenschaftler auf eine breiter gefächerte Thesenvielfalt und machen Produktvielfalt, aber auch Innovationskraft in Nischenmärkten als Triebkraft für Wohlstand und gesellschaftliche Entwicklung aus. Und genau diese kleinen und mittelständischen Unternehmen, die nicht nur innovative Dübel, quadratische Schokolade und Rollhundeleinen erfinden, sondern auch ungezählte Spezialkomponenten für verschiedene Industrie- und Dienstleistungsbranchen entwickeln, haben kaum Probleme, als unangefochtene Markenführer weltweit hohe Preise durchzusetzen, während die Industrie deutlich unter den Billigproduzenten aus Fernost leidet.

„Innovation bedarf einer Idee und eines Gestaltungswillens. Wir unterstützen beides und ergänzen es durch Sachverstand, Entfaltungsraum und Ambiente“ steht denn auch als Intro auf der INNO AWARD-Website. „Damit wird die Aufgabenverteilung im Innovationsprozess recht genau dargestellt: Die Technologiezentren können nur dann aktiv werden, wenn jemand seine Idee in unser Online-Formular tippt. Und grundsätzlich ist es dabei unwichtig, ob die von einem Wissenschaftler, einem Unternehmer oder einem Schüler kommt“, ergänzt Mario Kokowsky. Zuweilen nämlich erkennen Fachleute ein Ideenpotential, das anderen verschlossen bleibt. Wie z.B. beim 17-jährigen Nick d’Aloisio aus London, der sich überlegt hatte, das Lernen für seine Geschichtsprüfung zu vereinfachen, indem er die Textinhalte auf eine Art Kurzfassung eindampfte und dafür ein Smartphone-App unter dem Namen „Summly“ entwickelte. Inzwischen hat ein Suchmaschinen-Betreiber diese Technologie für 20 Mio. Euro gekauft.

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