Die Nähmaschine gibt es nicht mehr, auf der Sylke Gueffroy als Zehnjährige das Handwerk erlernte. Aber die Großmutter, die ihr die Grundbegriffe beibrachte und ihr zwei Jahre später eine eigene Maschine schenkte. Sie hat den Weg der „Schneiderin“ bis heute begleitet. Und sie ist stolz auf die Modelle, die ihre Enkelin unter dem Label „Juel-Design“ kreiert.
Als Sylke Gueffroys Tochter Elaine anderthalb Jahre alt war, fehlte der Pasewalkerin im Sortiment der Kinderläden Etliches. „Der Regenbogen hat mehr Farben als rosa und pink“, fasst es die 36-Jährige zusammen. So setzte sie sich an die Nähmaschine und schuf selbst Kleidchen, Taschen, Schürzen und Jacken. Bei ihr leuchtet es gelb, wird braun mit Rosenborte kombiniert und zeigt ein schlichtes Kleid im Rücken Rüschen und Spitzen. Lustige Figuren tummeln sich auf Taschentuchbehältern. Milli Siebenschön von Tausendschön – der Schwarm kleiner Mädchen – ist ebenso zu finden wie eine Matroschka oder Eule. Jungdesigner bieten im Internet ihre Zeichnungen an, die digitalisiert und dann gekauft werden können. Die Datei wird per Stickmaschine auf das entsprechende Modell gebracht.
Sylke Gueffroy näht auf Bestellung aber auch aus Lust und Laune heraus, bringt ihre Phantasie in Form. Es gibt Kariertes oder Geblümtes – der Trend interessiert wenig. Sie näht für die Töchter ihrer Freundinnen. Und so manches Mal wird sie von Müttern auf der Straße angesprochen, woher sie die Sachen habe, die ihre Tochter trägt. Weil alles Handarbeit ist, hat es seinen Preis. Und deshalb können es sich die Pasewalkerinnen nur ab und an leisten. „Ich spüre, dass sie das Besondere an meiner Kindermode lieben“, freut sich die junge Frau über die Resonanz in ihrer Heimatstadt. Doch der Geldbeutel in der Region ist bei den meisten nur mäßig gefüllt. Drei Viertel des Umsatzes, den Juel-Design derzeit erwirtschaftet, stammt aus Internetverkäufen – bundesweit. Ein Auftrag kam auch schon aus der Schweiz.
Auch wenn Sylke Gueffroy Kindermode kreiert – ihr täglicher Arbeitsplatz ist in einem Pasewalker Altenheim. Gelernt hat sie Bürokauffrau und Schriftsetzerin, gearbeitet unter anderem im Denkmaldorf Rothenklempenow. Dort hat sie sich um die Werbung gekümmert. Vom Traumjob Modedesignerin kann sie momentan noch nicht leben. Sie arbeitet halbtags als Stationshilfe, weil die Firma, die sie zusammen mit ihrem Mann gründete, noch keine schwarzen Zahlen schreibt. „Trotzdem zahle ich hohe Beiträge an die Handwerkskammer“, ärgert sich die Designerin. Rat in geschäftlichen Dingen holt sie sich inzwischen auch beim Unternehmerverein Pasewalk. „Am Unternehmerstammtisch hilft man sich untereinander“, sagt Sylke Gueffroy.
Einen Kredit musste Sylke Gueffroy beim Start der Firma nicht aufnehmen. „Wir kaufen die Maschinen nach und nach, so wie wir können.“ Genauso läuft es beim Kauf von Zubehör und Stoffen. Ausgesucht wird das im Internetshop. „Dort gibt es auch viele Foren, wo sich Modegestalter austauschen über Schnitte und Stoffe“ Manch einen aus den Foren, „auch Designer, die schon einen richtigen Namen haben“, trifft die Pasewalkerin, wenn sie zu deutschlandweiten Messen nach Hamburg oder Potsdam fährt. Dann studiert sie die Handschrift der anderen. Und lässt sich vom Angebotenen inspirieren. „Die schönsten Stoffe kommen zu 90 Prozent aus Holland“, sagt sie überzeugt. Und deshalb sucht sie sich ihr Arbeitsmaterial vor allem dort.
Melissa dreht sich, Milane setzt sich eine Mütze auf und Elaine, Sylke Gueffroys Tochter, zupft an ihrem Kleid. Die drei Mädchen sind Freundinnen und gehen in die Pasewalker Kita „Storchennest“. Eitel wie die großen Models bewegen sich die Mädchen, dabei ungezwungen, kichernd, schubsend und albern wie kleine Mädchen eben sind. Es macht ihnen Spaß, die Kleider, Jacken, Schürzen anzuziehen, die Sylke Gueffroy entwirft und gemeinsam mit Mann und Sohn näht. Melissa liebt Blumen, Elaine Herzen. Die Models bekommen all das an ihre Kleider, die sie nach Herzenslust wechseln. „Kleider anziehen“, „mich drehen“, das nennen die Mädchen als Gründe, Mode vorzuführen. Sie üben das Drehen nach Musik, Sylke Gueffroy zeigt ihnen, wie Kleider, Taschen, Jacken und Hüte zu präsentieren sind. So waren sie nicht aufgeregt als sie in einem Pasewalker Modegeschäft zum ersten Mal den Laufsteg betraten. „Die Mädels hatten keine Hemmungen vor so vielen Menschen. Ich hatte Lampenfieber“, gesteht die Designerin. „Und ich war gespannt, wie es ankommt, hoffte auf positive Rückmeldung.“ Und die kam prompt. Etliche boten sich an, Flyer mit in ihr Geschäft zu nehmen, ein Frisörsalon stellt ihre Taschen aus, ein Apotheker bietet sein Schaufenster an, um Modelle auszulegen, weitere Einladungen zu Modenschauen folgten. Wie jene zum Storchenfest am 23. April in Pasewalk und zum Jubiläumsfest am 25. April auf der Burg Stargarder Sommerrodelbahn. Dann werden Melissa, Elaine und Milane ihre Lieblingsstücke anziehen und sie allen anderen zeigen.
Sylke Gueffroy ist immer wieder erstaunt, wie viele junge Frauen wie sie das Nähen wieder entdecken. „Schön, dass das Handwerk nicht ausstirbt“, sagt sie. Heute bereut sie, dass sie den Beruf nicht nach der Schule gelernt hat. So sucht sie derzeit jemanden, der ihr beibringt, Schnitte selbst anzufertigen. Maßnehmen und dann aufs Papier zu übertragen, das kann sie noch nicht. Doch wie so vieles andere findet sie auch dafür eine Lösung und kommt ihrem Ziel – Traumjob Designerin – immer näher. Die Liebe dazu hat ihre Großmutter Gisela geweckt ohne zu ahnen wohin das führt.
Angela Kuboth